Der Weg// gruselige Kurzgeschichten

Der Weg

 

Kurzgeschichte von Dan Fara

 

1

Der tiefe Zug, den Sofia von dem Joint in ihre Lungen zieht lässt sie leicht schwindeln und in ihrem Blickfeld erscheint für einen kurzen Moment ein leichtes Flackern, bevor sie die Tüte weiter reicht, an ihren Kumpel Marc, der neben ihr sitzt. In dem Kreis ihrer Freunde, auf der Wiese vor dem Berner Münster, mit dem Blick auf die Aare zu ihren Füssen. Marc verschluckt sich am Rauch und Sofia muss lachen, die anderen fallen mit ein, Tina, Sven und James verfallen in einen ausgewachsenen Lachflash, der sich immer weiter ausbreitet und irgendwann weiss keiner der Teenager mehr, warum sie lachen, doch sie lachen weiter und weiter, halten sich ihre Bäuche und reiben sich ihre vom Haschisch rot unterlaufenden Augen.

Nach dem ersten Joint macht ein zweiter die Runde, die Sonne geht langsam unter, über der nahen Brücke breitet sie ihre letzten Strahlen aus und taucht die Stadt in ein goldenes Licht. Sofia und ihre Freunde verlassen den Platz auf der feucht werdenden Wiese und machen ihren Weg zu dem nächsten Mc Donalds, der nur fünf Gehminuten entfernt liegt. Bekifft schmecken die Burger und Pommes des Schnellrestaurants noch viel besser. Auf den Bänken der Tramhaltestelle vor der Zeitglocke verweilen sie noch zu dritt. Tina und Sven hatten sich vor ein paar Minuten verabschiedet und sind nach Hause gefahren.  Sofia und Marc sind in einer tiefen Unterhaltung über Persönlichkeitserweiterung gefangen, James beginnt langsam zu frieren. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und die kühle der Nacht beginnt aufzusteigen. James verabschiedet sich und macht sich auf, auf die gegenüberliegende Straßenseite zu wechseln und das Tram in seine Richtung nach Hause zu nehmen. Eine weitere Stunde hocken Marc und Sofia auf der Bank, der jetzt menschenleeren Straße, weiße Atemwölkchen sind zu sehen und die kühle Feuchtigkeit kriecht ihnen in die Körper. Es ist fast Mitternacht, als Marc und Sofia entscheiden eine der letzten Trams zu nehmen und nach Hause zu fahren. Ein paar laute, ausländische Jungen sitzen im hinteren Abteil, so entscheiden sich die beiden für Plätze weiter vorne. Sofia spürt langsam die Müdigkeit in ihr auf kriechen und legt ihren Kopf an die Scheibe der Straßenbahn. Marc steckt seine I Pods in die Ohren, bevor er seine beste Freundin herzt und sich verabschiedet. Er steigt drei Stationen vor Sofia aus, im Augenwinkel sieht er noch die vier Jungen, die in der Bahn rauchen und zu lauter Rap Musik tanzen. Er küsst Sofia auf das Haupt und stellt sich an den mittleren Ausgang, als die Bahn hält, dreht er sich noch einmal um und Sofia winkt kurz. Sie legt ihren Kopf wieder an die Scheibe, die Straßenbahn fährt an und sie sieht ihren besten Freund über die Straße hechten und schaut ihm nach. Im Spiegelbild des Fensters entdeckt sie ein Plakat, das an der Decke, der Straßenbahn, an den gegenüberliegenden Sitzplätzen angebracht ist.

WEGBEGLEITUNG, steht darauf und eine Telefonnummer ist daneben in roten Buchstaben zu erkennen. Die Erklärung liest Sofia darunter, WENN DU ANGST HAST RUFE UNS ZU JEDER ZEIT AN UND WIR GEWÄHRLEISTEN DIR EINEN SICHEREN WEG NACH HAUSE. Ohne weiter darüber nachzudenken, tippt sie die Nummer in ihr Handy und speichert sie unter Safety ab.

Dreizehn Minuten später hält die Bahn an Sofias Station, sie muss nur noch an dem kurzen Waldstück vorbei und die Straße hinauf gehen, in circa fünfzehn Minuten ist sie auch zu Hause, sie überlegt, ob sie noch einen kleinen Joint für den Heimweg drehen soll, dort draußen auf den Bänken, sie dreht kurz ihren Kopf und blickt ins hintere Abteil. Die Ruhe, der unterbrochenen Rap Musik hatte ihre Aufmerksamkeit gefangen und sie bemerkt, das alle vier Jungen neben einander auf der Sitzbank sitzen und sie anstarren. Sie unterhalten sich leise in einer Sprache, die Sofia nicht versteht.

 

 

2

 

Sie steigt aus dem Tram aus. Die Nacht ist kühl und nur wenige Insekten schwirren noch um die Straßen Lampen. Sofia hatte sich gegen den Joint entschieden und begibt sich schnellen Fußes in Richtung der Unterführung, durch die sie hindurch muss um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Durch polternde Schritte, weit hinter ihr, bemerkt sie, das auch die vier Jungen hier ausgestiegen sind und im nächsten Atemzug ist Sofia nüchtern und klar bei Verstand. Sie läuft fast durch die Straßen Untertunnelung und an der nächsten Seite angekommen nimmt sie gleich zwei Stufen auf einmal, ihr Herz pocht ihr bis zum Hals und sie versucht sich zu beruhigen, wird es wohl nur das Dope sein, das ihr Wahnvorstellungen bereitet, versucht sie sich selbst einzureden, das sieht sie aus dem Tunnel die länglichen Schatten der vier in ihre Richtung kommen. Sofia geht schnell die gebogene Straße hinauf, über die Brücke der Bahnschienen auf das Waldstück zu und blickt sich mehrfach um. Als sie fast die Biegung erreicht, sieht sie die Jungen hinter sich und sie beginnt ein Stück zu rennen, ein paar Minuten hält sie durch, doch dann merkt sie ihre Erschöpfung von dem Tag und dem Hasch, sie wird langsamer und passiert den Wohnmobilhändler immer noch zügigen Schrittes, nicht ohne sich mehrfach umzusehen, doch hinter ihr ist nichts. Sie nimmt ihr Smartphone aus der Tasche und wählt die zu letzt eingespeicherte Nummer. „ Wegbegleitung, Hallo. Mein Name ist Anne.“ Erklingt eine sanfte Stimme aus ihrem Handy und Sofia spürt, wie sich ihr Atem normalisiert. „Hallo, mein Name ist Sofia und ich weiss auch nicht warum ich anrufe, ich habe gerade in der Bahn die Nummer gespeichert und jetzt bin ich auf dem Heimweg und habe Schiss bekommen, weil andere Jungs mit mir ausgestiegen sind,“ beginnt sie stotternd und sich über ihre eigene Angst schämend den Satz. Anne sagt ihr, das es vollkommen in Ordnung ist, das sie sie angerufen hat und sie jetzt den weg, bis zu ihrem zu Hause gemeinsam bestreiten. Sofia ist ein wenig beschämt, doch es gibt ihr eine ausgesprochene Sicherheit, Annes Stimme an ihrem Kopf zu hören. Anne fragt sie, ob die Jungs noch hinter ihr sind und Sofia dreht ihren Kopf nach hinten, verlangsamt ihren Schritt ein wenig, doch kann keine Menschenseele hinter ihr ausmachen. Ihr Herz hört auf zu rasen und sie setzt ihren Weg fort, sie erzählt Anne von dem Abend und das sie ein wenig gekifft hatte, sie glaubt, dass sie deswegen ein wenig Panik bekommen hatte und will Anns schon für ihr Dasein danken und auflegen, doch diese sagt ihr, das sie Sofia dafür nicht verurteilt. Sie hat doch jetzt gerade auch nichts Besseres zu tun, also kann sie Sofia auch nach Hause begleiten. Anne erzählt ihr, das sie früher auch mal einen Joint geraucht hatte und beide Frauen bemerken, das Gefühle wie Angst, Freude oder Trauer davon noch bestärkt werden.

Sofia geht an dem dunklen Waldstück entlang, ein Bus fährt an ihr vorbei und eine Eule schreit aus den dunklen Bäumen. Anne fragt sie, ob sie sich noch einmal umdrehen will und Sofia tut es, in dem Scheinwerferlicht, des Busses, der jetzt ungefähr hundertfünfzig Meter hinter ihr ist, entdeckt sie Silhouetten. Sofia kann es nicht besonders gut einschätzen oder erkennen, doch ihr Puls nimmt wieder etwas mehr Fahrt auf. „Geh weiter, Sofia,“ sagt Anne, „geh weiter und rede laut mit mir, das wird jeden abschrecken.“ Die Stimme der Begleitung hat etwas aufmunterndes, Sofia geht strammen Schrittes weiter und die Straße führt leicht bergauf. Das Waldstück hat sie hinter sich gelassen und sie passiert jetzt Einfamilienhäuser, die meisten Fenster sind schwarz, in einigen wenigen ist das blaue flackernde Licht des Fernsehers zu erkennen, doch keine andere Seele ist zu dieser Uhrzeit auf der Straße unterwegs. Anne redet mit Sofia über den nächsten Arbeitstag und das sie nicht vergessen soll, gleich ihren Wecker zu stellen, sie muss schließlich in fünf Stunden wieder aufstehen. Was Sofia arbeitet, will Anne wissen und wo, da erschallt das scheppern, einer Aluminiumdose, die über die Straße getreten wird, einige Meter hinter Sofia. Sie blickt sich um und im Licht der Straßenlaterne kann sie menschliche Schatten erblicken, ihre Füße werden schneller und die Schritte grösser, das Smartphone fest an ihr Ohr gedrückt berichtet sie Anne von jeder Empfindung, die sie im Moment erlebt.

 

3

 

Sofia biegt links in die Straße ihrer Siedlung ein und endlich überkommt sie ein Gefühl, des Vertrauten, sie hat es geschafft. Ein Nachbar, der sich zu seinem Arbeitsplatz in einer Groß Bäckerei aufmacht, läuft Sofia müde über den Weg und grüßt sie halbherzig. Sofia ist dankbar für diese Begegnung und vor allem für das Gefühl, das ihr Anne heute Nacht vermittelt hat. Sie geht über den langestreckten Parkplatz und berichtet, das sie nun zu Hause ist. Sie bedankt sich bei ihrer Wegbegleitung und ein Gefühl der Wärme durchströmt sie, als der Bewegungsmelder vor ihrer Haustür angeht und sie mit einem Lächeln das Telefonat beendet.

 

4

 

Leonora, Sofias Mutter, steht um sechs Uhr in der Früh an der Kaffeemaschine und drückt auf den Knopf um sich einen Kaffee raus zu lassen. Diese verdammten Katzen, die hier überall nachts herumlaufen und jaulen und kreischen, rauben ihr mehr und mehr den Schlaf. Sie klopft an Sofias Zimmertür und geht danach zurück in die Küche und bereitet sich ihren Morgenkaffee zu. Ihre Tochter sollte langsam aufstehen, diese jungen Leute, denkt sie, zu spät ins Bett und morgens nicht aufstehen. Zwei weitere male klopft sie an der Tür, bevor sie mit dem zweiten Kaffeebecher in der Hand und schon etwas wacher in das Zimmer ihrer Tochter geht. Das Bett ist unbenutzt. Leonora schreibt Sofia eine Whats App, das sie doch abgemacht hatten, das sie ihr Bescheid sagen soll, wenn sie bei einem Freund schläft. Sie geht in das Badezimmer und macht sich fertig. Sie zieht sich an und verlässt kurze Zeit später die Wohnung. Unten an der Haustür findet sie Sofias Schlüssel im Schloss steckend und ihren Rucksack, aus dem sich ihre Sachen über den gesamten Eingang verteilen, auf dem Boden.

 

 

ENDE